It’s (not) so easy …

„Genderleicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt“ knüpft an das erfolgreiche Projekt genderleicht.de des Journalistinnenbunds e. V. an, das Christine Olderdissen maßgeblich mit aufgebaut hat. In dem Buch trägt sie nun die Meinungen und Argumentationen, Beispiele und Empfehlungen zusammen. Dabei bleibt sie in einem engen Korrektheitsverständnis und fordert gleichzeitig kreative Lösungen. Ein Widerspruch?

Der Journalistinnenbund und dann vor allem das Team um Christine Olderdissen haben gute, wichtige Arbeit geleistet und tun es noch: Die Website genderleicht.de, zu Recht gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bietet viele hilfreiche Tipps und Infos rund ums Gendern. Im Journalismus wird inzwischen der Gap gesprochen und Gendernzeichen haben Einzug gehalten in Zeitungen und Unterhaltungszeitschriften. Das ist ein Riesenschritt für diese in sprachlichen Dingen konservative Branche (die Älteren unter uns erinnern sich sicher noch an das Gewese vor, während und nach der Rechtschreibreform).

Und vor diesem Hintergrund muss dieses Buch auch eingeordnet werden. Es kommt aus dem Journalismus und richtet sich wie schon die Website an Widerspenstige, die erst einmal beruhigt werden mussten/müssen, die die Versicherung brauch(t)en, dass Gendern nicht wehtut, leicht ist und zu einem eleganten Ergebnis führt, wenn man nur ein wenig Kreativität ins Spiel bringt.

Die Empfehlungen bleiben folglich im Großen und Ganzen in einem engen Korrektheitsverständnis. Im Korrekt-sein-Müssen verortet Olderdissen denn auch das Genderdilemma, weil Gendern (positiv) dazu führen könne, dass holprige Sprache und unaussprechliche Sätze herauskommen (negativ) – wenn da nicht die Kreativität wäre, die Olderdissen vor allem im geschickten geschlechtsneutralen Formulieren verortet, also nicht etwas im kreativen Zusammenspiel des Gendernsterns im Singular mit neuen Formen und Neo-Wörtern.

Mir scheinen Anforderung und Genderndilemma ganz woanders zu liegen: Sichtbarmachung von Frauen, Sichtbarmachung dessen, dass es nicht nur männlich und weiblich gibt, dies beides sehe ich als die Anforderung. Das Dilemma oder Paradox: Es ist nötig, Geschlecht in den Fokus zu rücken, trotz des eigentlichen Ziels, dass Geschlecht bei (Lebens-)Entscheidungen keine Rolle mehr spielen soll, es also aus dem Fokus zu nehmen.

Geschlechtsneutrales Formulieren erfüllt die Anforderung des Sichtbarmachens nicht. Das sieht selbstverständlich auch Olderdissen und schlägt vor, Varianten der Beidnennung einzustreuen, bzw. verlässt die Sprachebene mit dem Vorschlag, mehr über Frauen und nichtbinäre Menschen zu berichten, deutlich öfter ihre Expertise abzurufen usw.

Für eine, wie ich hoffe, kommende Welt, in der Geschlecht egal geworden sein wird, reicht jedoch geschlechtsneutrales Formulieren nicht, dafür braucht’s geschlechtsneutrale Ausdrücke. Und diese zu entwickeln, damit muss jetzt parallel begonnen werden. Deshalb war ich froh, dass Olderdissen dann doch noch kurz auf Neopronomen und genderneutrale Formen verwiesen hat (S. 176 ff.).

Fazit

Es fällt mir etwas schwer, zu sagen, für wen dieses Buch ist. Wer bereits gendert, lernt nichts Neues. Steht man auf Sprachliches, ist das dudengelbe Handbuch (2020) der beiden Linguistinnen Diewald und Steinhauer passender, auf das Olderdissen für weitere Beispiele sogar selbst verweist (S. 90). Und wer gegens Gendern ist, wird sich so ein Bändchen nicht holen; es würde si:hn wohl auch nicht abholen, die erste Kapitelüberschrift „Tschüss, liebe Männer“ wirkt sogar eher wie eine Ausladung. Bleiben diejenigen, die sich im „eleganten“ Gendern bestätigen lassen möchten und viele Beispiele erhoffen; doch dafür gibt es ja schon online genderleicht.de.

Wie immer gilt: Dümmer wird man bei der Lektüre natürlich nicht, denn die Journalistin Olderdissen hat viel recherchiert, große Erfahrung, trägt Meinungen und Argumentationen zusammen, gibt Beispiele. Der Inhalt ist aufgeteilt in sieben Kapitel mit jeweils vielen kleinen Häppchen, keines länger als fünf Seiten. Die Überschriften geben unterschiedlich gut Orientierung, denn sie sind unterschiedlich sprechend von „Pizza essende Studierende – Reizthema Partizip“ bis „Singlebörse für die Liebe – Wie beim gemischten Doppel die Sterne aufgehen“. Hier kommt die Journalistin durch.

Empfehlen mag ich das Buch leider nicht, weil ich selbst es nicht gern gelesen habe. Zu oft habe ich gedacht, „Aber das stimmt doch so nicht“, „Das ist einfach nur behauptet“, „Das ist schief, das verkürzt“ oder „Aber das meint doch nicht dasselbe“. Und natürlich meint es nie dasselbe, wenn ein Wort, eine Formulierung durch etwas anderes ersetzt wird; sonst gäbe es nicht beides. Das muss Gendernden bewusst sein bzw. gemacht werden; es ist immer auch ein Abwägen.

Tatsächlich bin ich ausgestiegen bei der Warnung, nicht Islamist*innen oder Taliban*innen zu schreiben. Dafür mag es zwar Gründe geben, vielleicht sogar gute, aber sicherlich nicht den zitierten, „Gendern passe nicht zu Menschen, die diese Diversität komplett ablehnten“ (S. 149). Nur weil nichtbinäre Menschen sich nicht gefahrlos zeigen können, sind sie doch nicht nichtexistent. – Der berühmte Tropfen; danach habe ich die letzten siebzig Seiten nur noch grob gescannt.

Wir machen Sprache. Anders als Olderdissen kann ich den Gendernstern auch in Gesetzestexten und im Singular sehen. Korrekt ist, was sich in der Sprachgemeinschaft durchsetzt.

Weitere Buchbesprechungen auf der VFLL-Seite zum Thema Gendern:

Online erhältlich zum Beispiel im Autorenwelt-Shop und bei buch7.de.

Angelika Pohl: Website und Profil im VFLL-Verzeichnis lektor-in-finden.de

Cover genderleicht