Dreieinhalb Jahrtausende Buchkultur genussvoll aufbereitet
„Von Autoren, Büchern und Piraten“ steht auf dem Titelblatt von Detlef Bluhms kleiner Geschichte der Buchkultur. Meinen ersten Eindruck prägt jedoch das überdimensionierte, in jüngster Zeit inflationär auftretende Et-Zeichen, das auf dem Schutzumschlag und auf dem Buchrücken statt „und“ verwendet wird.
Buchkultur und dann das? Ich rümpfe die Nase. Aber ich mache mir bewusst: Schutzumschläge sind Werbeträger, dienen ganz anderen Interessen, werden von Grafikern entworfen, und nicht immer hat der Autor ein Mitspracherecht. Also schiebe ich mein Vor-Urteil beiseite ...
... eine sehr gute Entscheidung, denn dieses Buch fesselt. Es amüsiert, es bildet, es besticht durch Qualität. Mich fasziniert schon das Inhaltsverzeichnis. Jedes Kapitel hat zwei Überschriften: die eine für den Inhalt, die andere für die Zeit, um die es geht. Außerdem steht zwischen den Zeilen etwas über den Autor und worauf ich mich gefasst machen kann: Es geht auch augenzwinkernd zu, zwar fundiert und ernsthaft, aber eben nicht todernst, selbst wenn die kleine Geschichte der Buchkultur mit den ägyptischen Totenbüchern beginnt. Nein, erfrischend selbstkritisch und ironisch geht es weiter bis zum Ende, wo das Quellenverzeichnis den Titel „Ausgeraubte Literatur“ trägt.
Was der Buchhändler, Verleger und Autor Detlef Bluhm mit dieser Veröffentlichung im Sinn hat? Inmitten einer Umbruchphase – der digitalen Revolution – die Entwicklung der Buchkultur bis zur vielfältigen Buchlandschaft von heute zu verfolgen. Das ist ein gutes und sinnvolles Vorhaben – obwohl und gerade weil es in eigener Sache geschieht. Detlef Bluhm gelingt die Umsetzung seines Plans auf erstaunlich wenigen Seiten mit erstaunlicher Tiefenschärfe. Von Anfang an, das heißt vom achten vorchristlichen Jahrhundert, bis zur Jetztzeit nimmt Bluhm wesentliche Aspekte in den Blick, die der Verschriftlichung von Gedanken in welcher Form auch immer immanent zu sein scheinen: die jederzeitige Verfügbarkeit, die kommerzielle Verwertung, die zeitlich verzögerte Entdeckung der Möglichkeiten eines neuen Mediums und den Diebstahl geistigen Eigentums bei gleichzeitig vorhandenem Unrechtsbewusstsein.
Dieses Buch hat eine einzigartig gute Linie. Es ist inhaltlich wie optisch qualitätvoll. Detlef Bluhm öffnet für mich den weiten Zeit-Raum vor dem kleinen Ausschnitt Buchgeschichte, an dem ich teilhabe. Dass ich dem Autor wie gebannt folge und das Buch sich fast wie von selbst liest, erstaunt mich und ich frage mich, woran es liegt.
Es ist vieles, das zusammenwirkt. Beispielsweise ist die Gliederung dieser Publikation einzigartig, und selbst ihre Details spiegeln einzelne Aspekte der Buchgeschichte wider, um die es ja geht. Den Großkapiteln sind Aphorismen und Zitate vorangestellt. Erzählende Zwischentitel gliedern dreieinhalb Jahrtausende in handliche, sinnvollerweise chronologisch präsentierte Abschnitte. Kleine Zeichnungen aus dem Tier- und Pflanzenreich – Blätter, Schneckengehäuse – sind schmucklinienartig eingefügt und lassen innerhalb der Abschnitte Unterabschnitte erkennen. Eine weitere Ebene kennzeichnen in Kapitälchen gesetzte Worte am Absatzbeginn. Es gibt so viel zu entdecken, das ich eigentlich gar nicht verraten möchte ...
Auf so angenehme Weise bin ich selten durch ein Thema mit so vielen Ebenen und Einzelaspekten geführt worden. Viele typografisch schöne Details tragen dazu bei, dass ich mich beim Lesen ausruhen kann. Sogar in der Doppelrolle Lektorin/Rezensentin, die das Geschehen auf der Bühne genauso aufmerksam verfolgen soll wie die Inszenierung. Sorgfältig ausgesucht und angemessen sparsam ist die Illustrierung, die erwartungsgemäß im historischen Teil einen größeren Raum einnimmt als in Detlef Bluhms Gedanken zur jüngsten Vergangenheit und Gegenwart.
Mein Fazit – ich halte dieses bescheiden als „kleine Geschichte der Buchkultur“ daherkommende Buch für wesentlich mehr: Es ist neben Entwicklungsgeschichte in Zeit und Raum ein fundierter Bericht zur Lage, zugleich ein Kommentar und ein Appell, mehr für die Zukunft der „Buchkultur“ einzutreten, in welcher Form auch immer!
Detlef Bluhms wichtiges und schönes Buch werde ich sicher für mein eigenes Plädoyer zur Erhaltung des Buches in seiner jetzigen Form und zum Schutz des geistigen Eigentums noch oft zu Rate ziehen. Es steht nun griffbereit auf meinem Schreibtisch. Aber mit einem anderen Schutzumschlag ...
Dr. Hildegard Mannheims, Bonn