Fremdwörter aus linguistischer Sicht

Um Anglizismen wird hierzulande oft und manchmal heftig gestritten. Kein Wunder, dass der Verlag den zutreffenden, sachlichen Titel „Das Fremdwort im Deutschen“ mit der Abbildung eines Lemmas „Anglizismus“ garnierte. Wer allerdings von Peter Eisenberg Beurteilungen erwartet, ob es nun „korrekt“ sei, „Sinn machen“ oder dergleichen zu sagen, liegt falsch: Das Buch vermeidet konkrete Empfehlungen zum Sprachgebrauch und behandelt ausschließlich das, was auch der Titel besagt: aus anderen Sprachen entlehnte Wörter, nicht Wendungen oder grammatische Strukturen.

Dieses scheinbar eng gefasste Thema geht Eisenberg, einer der renommiertesten Linguisten Deutschlands, mit der ihm eigenen Gründlichkeit an. Seine Motivation ist nicht rein sprachwissenschaftlicher Art: Auf Fremdwörter richte sich besondere öffentliche Aufmerksamkeit. „Es gibt in Deutschland Dutzende von Institutionen, die der Frage nachgehen, welche Fremdwörter gut und welche schlecht sind, welche wir brauchen und welche nicht, welche wir in welchen Verwendungen eigentlich gesetzlich verbieten sollten und was man tun kann, um sie zu verdeutschen oder einzudeutschen.“

Listen „unerwünschter“ oder „vermeidbarer“ Fremdwörter enthält das Buch gemäß der Methodik der modernen Linguistik nicht. Eisenbergs Motivation ist es vielmehr, die Debatte auf ein solides wissenschaftliches Fundament zu stellen, auch, um überzogene Emotionen zu vermeiden. So zieht er das ganze Register linguistischer Instrumente, wertet systematisch vorhandene Studien aus, differenziert zwischen Fremdwörtern und Zitatwörtern, erstellt eine Statistik der Gebersprachen, gibt einen Überblick über die Geschichte des sogenannten Sprachpurismus in Deutschland, behandelt Aussprache, Flexion, Wortbildung und Orthografie der Fremdwörter. Könnte man alle selbsternannten oder von den Massenmedien gekürten „Sprachexperten“ veranlassen, erst einmal dieses Buch durchzuarbeiten, würde die öffentliche Diskussion wesentlich leiser ablaufen, allein schon, weil so manchem „Sprachschützer“ die Mühe zu groß und das Thema zu komplex wäre.

Einige scharfe Seitenhiebe, etwa auf die Gesellschaft für deutsche Sprache, lässt sich der Autor nicht nehmen, was die Frage aufwirft, ob hier nicht sekundäre Motive eine Rolle spielen, etwa der Streit um die Rechtschreibreform (die von der GfdS mit eingeleitet, von Eisenberg in Teilen kritisiert wurde). Hiervon abgesehen behandelt er das weitläufige Thema insgesamt mit einer Nüchternheit und Ausgewogenheit, die nicht nur Sprachlobbyisten wie dem „Verein Deutsche Sprache“, sondern auch manchem akademisch geschulten Debattenteilnehmer gelegentlich Vorbild sein könnte.

Selbstverständlich ist auch Eisenberg nicht unfehlbar, etwa, wenn er wieder einmal dem armen Philipp von Zesen (Barockdichter, Weltmann und trotz mancher aus späterer Sicht skurril anmutender Versuche durchaus ernst zu nehmender Sprachpfleger) fälschlich den angeblichen Eindeutschungsversuch „Gesichtserker“ für Nase zuschreibt. Auch wurden manche Unterscheidungen und historischen Herleitungen Eisenbergs von Fachkollegen als inkonsequent oder unhaltbar kritisiert. Solche kleineren Fragwürdigkeiten sind jedoch eher ein Thema für Fachkongresse; für interessierte Nicht-Linguisten ist es dagegen wichtig, dass der Autor das sprachwissenschaftliche Instrumentarium nicht voraussetzt, sondern erläutert. Auch die Einschübe zu bestimmten, besonders umstrittenen Wörtern erhöhen das Lesevergnügen. Interessant für Indexer dürfte das zusätzliche rückläufige Wortregister mit seiner Gliederung nach Endungen sein.



Dirk Müller, Braunschweig

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