Schreiblehre mit Schönheitsfehlern

Wer professionell Texte verfasst, sitzt schon mal vor dem leeren Papier bzw. Bildschirm. Hier hilft ein Schreibratgeber, der sich „insbesondere den psychologischen Aspekten des Textens“ widmet. Und der zeigt: Schreiben beginnt schon vor dem Schreiben. Mit Plan und Struktur gelingt es einfacher, in Fahrt zu kommen. Dazu gibt Autorin Doris Märtin ein paar Tricks – schon zaubern Anfänger und Profis Texte, die überzeugen.

Schreiben will gelernt sein. Erst recht gutes Schreiben. Dazu gehört ein Anfang, der den Leser, die Leserin packt und zum Weiterlesen anstiftet. Doch wie findet man einen packenden, mitreißenden Einstieg? Damit tun sich viele schwer, nicht nur Anfänger, sondern auch Fortgeschrittene. Es gibt wohl kaum einen Film über einen Schriftsteller, in dem nicht dieser Topos zu sehen ist: Der Autor sitzt verzweifelt vor der Schreibmaschine mit einem leeren Blatt Papier, tippt endlich den ersten Satz seines Romans ein, zieht das Blatt aus der Maschine, zerknüllt es und wirft es neben den überquellenden Papierkorb. Und mit jedem neuen Kreislauf steigert sich die Verzweiflung. Der Kuss der Muse lässt auf sich warten, bis sie sich endlich in Gestalt der Protagonistin offenbart und erbarmt.

Seit Autorinnen und Autoren nicht mehr eine Schreibmaschine, sondern einen Computer nutzen und ein leeres Dokument statt ein leeres Blatt vor Augen haben, hat die Szene viel an Dramatik verloren. Doch das Problem der Schreibblockade gibt es nach wie vor. Und nicht nur bei fiktionalen, sondern auch bei nonfiktionalen Texten. Wie gut, dass es einen Ratgeber gibt, der sich laut Klappentext „insbesondere den psychologischen Aspekten des Textens“ widmet und Lösungen anbietet. Auch wenn das oft eher wie Küchen- denn Sprach- und Schreibpsychologie anmutet – die Ratschläge haben Hand und Fuß. Überhaupt kennzeichnen hohe Relevanz für die und Realisierbarkeit in der Praxis diesen Schreibratgeber. Es handelt sich um Doris Märtins Werk Erfolgreich texten, das in der fünften, neu bearbeiteten Auflage bei Bramann erschienen ist.

Märtin bildet den kompletten Schreibprozess in ihrem Buch ab. Die Kapitel stellen die Phasen eines Schreibprojektes nach. Demgemäß fängt die Autorin vor dem ersten Anschlag an. Leistung zur Sprache bringen, Einen Masterplan entwickeln, In Fahrt kommen – so lauten die ersten Kapitel. Wie die Überschriften verheißen, ist der Text alles andere als altbacken oder angestaubt. Märtin schreibt klar und frisch, kurz und knackig, bringt ihre Botschaft auf den Punkt. Hält sich an ihre eigenen Ratschläge. Besonders auffällig ist ihre bildhafte Sprache, wobei sie sich auch manchmal verrennt. Weniger eine kühne Metapher als vielmehr eine falsche Redewendung dürfte es sein, wenn ein „Problem sich verflüssigt“ statt verflüchtigt. Doch das sind Petitessen. Keine Petitesse hingegen ist es, wenn ausgerechnet die einzige Grafik in diesem textlastigen Textratgeber Text-Bild-Kongruenz vermissen lässt: Die Stufen des Schreibprozesses werden in der grafischen Darstellung teilweise anders als in der textuellen Beschreibung bezeichnet, was auch mit inhaltlichen Verschiebungen einhergeht.

Apropos Textlastigkeit: Auch die ausufernde Vorliebe der Autorin für Textkästen wird man kritisch hinterfragen dürfen: „Textcoaching“, „Lernen von den Besten“, „Das Wichtigste auf einen Blick“ und Wort- sowie Checklisten sind die Kategorien. Natürlich, die Textkästen und auch die vielen eingestreuten Schmuckzitate spiegeln Zeitgeist und Technikstand der digitalen Kommunikation wider – Infohäppchen statt Wissensmenü. Doch nicht Fragmentierung des Wissens ist hierbei das Problem, sondern die Fragmentierung der Rezeption. Der Verlust an Textkohärenz und Leserführung. Denn die Vielzahl und Länge der Kästen – manche gehen über zwei bis drei Druckseiten – stören den Lesefluss. Die Leserin, der Leser muss immer wieder blättern und sich fragen: Wo soll ich nun weiterlesen? Hier wäre es sinnvoll gewesen, im Fließtext an passender Stelle explizit auf die Kästen zu verweisen, wie man auch auf Stellen oder Seiten im Internet verlinkt.

Die weiteren Kapitel widmen sich dem Schreiben an sich. Der Leser, die Leserin trifft auf die üblichen Verdächtigen guten Stils: Aufmerksamkeit fesseln, Die richtigen Worte finden, Klare (Ab-)Sätze bauen. Hier finden sich zahlreiche bewährte Empfehlungen und Anregungen für Anfängerinnen und Anfänger, von denen aber auch Schreibprofis profitieren können. Das gilt gleichermaßen für die folgenden beiden Kapitel, in denen die Orientierung an der Zielgruppe und die Verbindung von Sinn und Sinnlichkeit behandelt werden: An die Leser denken und Die Vorstellungskraft ankurbeln. Meckern auf hohem Niveau: Obschon es um nonfiktionale Texte geht, entstammen viele Beispiele der fiktionalen Literatur, ohne dass die Autorin Möglichkeiten und Grenzen einer Übertragbarkeit ausloten würde.

Das abschließende Kapitel Auf Hochglanz polieren ist das inhaltlich schwächste, weil dürftigste. Hier sind drei Schritte zusammengefasst, die mehr Raum und je ein eigenes Kapitel verdient hätten: Überarbeiten/Redigieren, Layouten und Korrigieren. Zu diesen Schritten böten sich Checklisten an, die man aber ausgerechnet an dieser Stelle missen muss. Wenigstens weist die Autorin darauf hin, dass man bei Bedarf professionelle Grafikdesigner und Korrektoren hinzuziehen könne und solle. Als Lektor vermisse ich hier (natürlich) einen analogen Hinweis auf meinen Berufsstand. Apropos Lektorat: Eine genauere professionelle Überarbeitung hätte auch Märtins Buch gut getan. Darauf lassen jedenfalls einige Fehler wie etwa „Dopamine“ statt „Dopamin“ und die zuvor erwähnten Mängel schließen.

Das den Schreibprozess abschließende Kapitel ist nicht das letzte, es folgt ein zehntes zu Specials. In diesem findet sich das Allerwichtigste für das Schreiben spezifischer Texte vom Geschäftsbrief über die Pressemitteilung bis hin zur wissenschaftlichen Arbeit. Dass in diesem Kapitel Textsorten und Sprachdomänen vermengt sind, ist angesichts der Adressaten sicher verzeihlich. Die Kurz-&-knackig-Schreibe stößt jedoch an Grenzen, wenn es denn zu oberflächlich wird. „Kurze wörtliche Zitate können Sie in Anführungszeichen setzen […]“ – so etwas möchte man nicht unbedingt in einem Schreibratgeber lesen, auch wenn es sich dabei nicht um ein tiefgründiges Werk zum Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten handelt und der Lapsus wohl eher auf schludrigem Formulieren denn mangelndem Fachwissen beruht.

Fazit: Doris Märtin hat einen insgesamt runden und stimmigen, zeitgemäßen Schreibratgeber geschrieben. Die Konzeption überzeugt und bietet gerade Schreibanfängern zahlreiche Hinweise und Hilfen, wie sie das Schreiben und den Text angehen können. Auch für Schreibprofis hält das Buch noch den einen oder anderen guten Tipp parat. Trotz ihrer Schönheitsfehler kann daher diese Schreiblehre empfohlen werden, man würde sich allerdings für die nächste Auflage einige Verbesserungen wünschen.

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Joachim Fries’ Website und Profil im Lektorenverzeichnis

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