Wie schreibst du denn, Duden?

Im August 2017 ist die nunmehr 27. Auflage des Rechtschreibdudens erschienen. Zwar ist der Duden nicht mehr „maßgebend in allen Zweifelsfällen“ wie vor der Rechtschreibreform 1996, aber nachdem der Wahrig nicht mehr fortgeführt wird, handelt es sich um das einzig verbliebene Nachschlagewerk zur deutschen Rechtschreibung.

Nicht nur im Internet, auch in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern hat die Häufigkeit von Rechtschreibfehlern deutlich zugenommen. Ganz offensichtlich sind die Zeiten vorbei, in denen korrekte Rechtschreibung beim öffentlichen Schreiben zum guten Ton gehörte oder gar als Wert an sich galt. Unabhängig davon, ob man dies bedauert oder erleichtert aufatmet, gibt es natürlich weiterhin eine schriftliche Standardsprache, und deren Referenz ist nach wie vor der Duden. Nicht etwa, weil er die Standardsprache definieren würde wie von 1955 bis 1996, als er laut Beschluss der westdeutschen Kultusminister in Zweifelsfällen verbindlich für den Schulunterricht war, sondern weil er mit Hilfe computerlinguistischer Methoden ermittelt, was heutzutage als standardsprachlich gilt. Dies hat bei konservativ Rechtschreibenden zu dem Vorurteil geführt, der Duden erlaube ja doch jeden Fehler, wenn er nur oft genug wiederholt würde – ein unberechtigter Vorwurf, weil der Duden ja keine Schreibweisen verzeichnet, die nicht konform zum amtlichen Regelwerk sind.

Allerdings spiegelt selbst die Werbekampagne zur Markteinführung des neuen Dudens die zunehmende Beliebigkeit in Sachen Rechtschreibung wider und vermittelt dem kundigen Betrachter die paradoxe Botschaft, dass ein Blick in den Duden heutzutage tatsächlich verzichtbar sei: Hat man „Europapolitik“ nicht auch schon zusammengeschrieben, als sie noch nicht im Duden verzeichnet war? Auch „den Hashtag“ sucht man dort vergebens, nur „das Hashtag“ ist verzeichnet – was wiederum die Frage aufwirft, wie repräsentativ das ausgewertete Dudenkorpus heutzutage noch ist. Solchen Pannen und überaus fragwürdigen Kommas zum Trotz ist offenbar auch der neue Duden ein Verkaufserfolg. Dies ist vermutlich nicht nur der Werbekampagne zu verdanken, sondern vor allem der zunehmenden Unsicherheit angesichts von korrekten und falschen Rechtschreibvarianten sowie der allgegenwärtigen Frage „Wie schreibt man’s denn jetzt richtig?“.

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Im Fokus der Werbekampagne und Pressemitteilungen des Dudenverlags standen dagegen die etwa 5000 neu aufgenommenen Wörter, so dass die Presseberichte zum neuen Duden landauf, landab die paar Dutzend Wörter von „Brexit“ bis „Work-Life-Balance“ durchdeklinierten, die der Dudenverlag vorab veröffentlicht hatte – anscheinend herrscht hierzulande immer noch der Glaube, dass ein Wort erst dann in der deutschen Sprache angekommen sei, wenn es durch die Aufnahme in den Duden „geadelt“ wird. Allerdings fiel kaum jemandem auf, dass eines der angekündigten Wörter am Ende doch fehlte: Der „Volksverräter“, seines Zeichens Unwort des Jahres 2016, war offenbar noch kurz vor Toresschluss aus redaktionellen Erwägungen gestrichen worden. Einerseits verständlich, wenn man mit der nationalsozialistisch belasteten Geschichte dieses Begriffs vertraut ist; andererseits wurde auch die „Lügenpresse“ neu aufgenommen und vorbildlich neutral definiert, nämlich als „im 19. Jahrhundert entstandenes abwertendes Schlagwort für Medien, deren Berichterstattung für tendenziös und manipulativ gehalten wird“.

Was ist neu am neuen Duden?

Wer bereits einen Duden im Regal stehen hat, wird sich fragen, ob er die gute bildungsbürgerliche Tradition fortführen und sich die Neuauflage zulegen soll – schließlich ist die Anzahl der Neuschreibungen und geänderten Dudenempfehlungen sehr überschaubar (siehe hierzu Beiträge im Lektorenblog und im Blog von Marion Kümmel), und die Neuaufnahmen sind auch im Online-Duden zu finden. Denjenigen, die den Duden beruflich benötigen, stellt sich diese Frage vielleicht zum ersten Mal, weil sie den Print-Duden bisher allein schon wegen der elektronischen Ausgabe gekauft haben. Bei vergangenen Auflagen bekam man den Software-Download nämlich umsonst oder für einen Euro Aufpreis dazu, was bei der aktuellen Auflage nicht mehr der Fall ist. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Während der Preis für den Rechtschreibduden um 8,3 Prozent von 24 auf 26 Euro gestiegen ist, kostet das Bundle „Print und Software“ jetzt nicht mehr 25, sondern 45,99 Euro – eine satte Preissteigerung von 84 Prozent. War bisher gerade die komfortable Suchfunktion der elektronischen Ausgabe der Grund, der einen gerne auch zur Printausgabe hat greifen lassen, so ist dieser Grund inzwischen mit dem frei zugänglichen und inhaltlich sogar umfangreicheren Online-Duden entfallen.

Zudem stellt sich die Frage der Neuanschaffung alle drei bis fünf Jahre von neuem, denn „nach dieser Zeit gibt es genug Entwicklungen im Wortschatz, die man gerne abbilden möchte“, so die Duden-Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum (zitiert nach SZ vom 7.8.2017). Diesmal ist außerdem im Juni 2017 das aktualisierte amtliche Regelwerk in Kraft getreten, mit dem einige Schreibweisen offiziell geworden sind, die bisher im amtlichen und schulischen Kontext nicht verwendet werden durften. Wenn man allerdings die Anzahl von mittlerweile 145 000 Stichwörtern mit dem „Einheitsduden“ von 1991 vergleicht, der rund 115 000 Stichwörter umfasste, fragt man sich, wohin diese Entwicklung noch führen soll – immerhin ist der Umfang von damals 832 Seiten auf mittlerweile 1264 Seiten angewachsen. Demnach muss Band 1 des Dudens bei gleichbleibendem Wachstum Mitte des nächsten Jahrzehnts in zwei Teilbände gesplittet werden, wenn man die Grenze des buchbinderisch Möglichen bei 1500 Seiten ansetzt. Tatsächlich sind sogar noch mehr Seiten möglich, aber schon jetzt sollte man die äußersten Seiten nicht allzu kräftig umblättern, weil sie sich bei versehentlichem Ziehen leicht aus der Leimbindung lösen.

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Am neuen Coverlayout scheiden sich die Geister, und zwar nicht nur unter Wörterbuchnutzern, sondern auch unter Grafikdesignern, die sich nach dem tieferen Sinn des Konzepts „Alles mal woanders hinschubsen“ fragen. Mehr noch als der Gag mit dem angeschnittenen Schriftzug stört mich persönlich, dass nun auch der Buchtitel „Die deutsche Rechtschreibung“ auf Cover und Buchrücken in Versalien steht – ein sinnvoller Grund für diese typografische Sünde, die bekanntlich die Lesbarkeit beeinträchtigt, ist nicht erkennbar. Ein großes Lob dagegen für den Innenteil: Während das bewährte Layout des Wörterverzeichnisses nahezu unverändert ist, ist der vorangestellte Infoteil noch übersichtlicher geworden.

Regeln zu Rechtschreibung und Zeichensetzung

Die Regeln zu Rechtschreibung und Zeichensetzung, bisher mit den „Kennziffern“ K 1 bis K 169 versehen, heißen jetzt „Randnummern“ D 1 bis D 169. Eine Erklärung für das große D wäre uns die Dudenredaktion um ein Haar schuldig geblieben, hätte sich das Wort „Dudenregeln“ nicht doch noch an unscheinbarer Stelle in den Einleitungstext verirrt. Mit der neuen Benennung sind die Regeln auch inhaltlich überarbeitet worden, so dass der Regelteil nicht nur optisch aufgeräumter wirkt, sondern noch strukturierter und auch allgemeinverständlicher geworden sind. Letzteres zeigt sich zum Beispiel bei den Dudenregeln für Abkürzungen, wo sich der Leser bzw. die Leserin die Bedeutung des Begriffs „Initialwörter“ nicht mehr anhand der Beispiele erschließen muss, sondern erklärt bekommt. Nach wie vor bietet der Duden den besten mir bekannten Zugriff auf die Rechtschreib- und Zeichensetzungsregeln, und zwar durch die alphabetische Sortierung, prägnante Beispiele, interne Verweise auf andere Dudenregeln und externe Verweise aufs amtliche Regelwerk – außerdem durch die Dudenhinweise und -empfehlungen an den Stellen, an denen das amtliche Regelwerk Fragen offenlässt.

Allerdings hat die Dudenredaktion an einer Stelle versäumt, endlich Klarheit zu schaffen, und zwar beim Komma vor „und“ oder „oder“, wenn diese Konjunktionen nebengeordnete Sätze verbinden. Seit der Rechtschreibreform 1996 ist dieses Komma freigestellt, wird aber bei konservativer Zeichensetzung weiterhin gesetzt. Wer nun nach der Maßgabe „Dudenempfehlung und konservative Zeichensetzung“ korrigiert, stellt sich die Frage, ob D 119 im Sinne einer Dudenempfehlung zu verstehen ist:

„1. Werden gleichrangige selbstständige Teilsätze durch Konjunktionen wie und oder oder verbunden, so setzt man in der Regel kein Komma ‹§ 72 (1)›.

2. Ein Komma kann jedoch auch in diesen Fällen gesetzt werden, um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen (besonders, um Missverständnisse zu vermeiden) ‹§ 73›.“

Die Formulierungen „in der Regel“ und „jedoch“ sind im amtlichen Regelwerk nicht zu finden und legen nahe, dass die Dudenredaktion mit Punkt 1 als Grundregel empfiehlt, das Komma nicht zu setzen, und dieses mit Punkt 2 als Ausnahmefall ergänzt. Aber sind das wirklich Dudenempfehlungen[,] oder handelt es sich hier nur um Formulierungen, die den offensichtlichen Widerspruch der zugrundeliegenden Paragrafen aus dem amtlichen Regelwerk abmildern sollen?

Regeln zur Textverarbeitung

Seit der Duden die früheren „Hinweise für das Maschinenschreiben“ und „Richtlinien für den Schriftsatz“ unter der heutigen Überschrift „Textverarbeitung und E-Mails“ zusammengefasst hat, sind die dortigen Aussagen mit Vorsicht zu genießen, weil sie sich einerseits an typografischen Konventionen und andererseits an den Vorgaben von DIN 5008 zur Gestaltung von Geschäftsbriefen orientieren. Mit ernstzunehmenden typografischen Werken können die dortigen Angaben nicht konkurrieren; zudem scheitert die Dudenredaktion nach wie vor an der Quadratur des Kreises, wenn sie zusätzlich auch noch versucht, für Laien verständlich zu formulieren. Das Ergebnis zeigt sich schon beim ersten Stichwort „Abkürzungen“, wo es – wie schon in vergangenen Auflagen – im Hinblick auf mehrgliedrige Abkürzungen wie „z. B.“ u. a. m. heißt:

„In der Textverarbeitung wird innerhalb von Abkürzungen zwischen den einzelnen Elementen ein sogenannter geschützter Leerschritt gesetzt, der einen Zeilenumbruch an dieser Stelle unterbindet und mit einem kleineren Zwischenraum (Festabstand) verbunden ist.“

Hier setzt die Dudenredaktion das geschützte Leerzeichen mit einem schmalen Festabstand gleich, verrät aber nicht, was unter Letzterem zu verstehen ist. Aber selbst wenn sie den Querverweis zum Stichwort „Festabstand“ nicht vergessen hätte, wäre dort nur zu lesen:

„Festabstände sind nicht variable, meist kleinere Zwischenräume zwischen Zeichen. […] Ihre Eingabe lässt sich mit einer Trennungssperre verbinden (geschützter Leerschritt), sodass auf diese Weise verbundene Zeichen am Zeilenende nicht auseinandergerissen werden können.“

Nun handelt es sich bei Festabstand und geschütztem Leerzeichen aber um unterschiedliche typografische Zeichen, und selbst wenn man diese Unschärfe damit entschuldigen wollte, dass es sich hier um Regeln für die Textverarbeitung und nicht für Satzprogramme handelt, wird sich auch der erfahrene User fragen (wenn er denn tatsächlich einen schmalen Festabstand im Zeichenkatalog gefunden hat): Wie soll ich dieses Zeichen jetzt mit einem geschützten Leerzeichen verbinden – vielleicht mit einem Bindestrich? :) Und die eigentlich spannende Frage in diesem Zusammenhang wird gar nicht erst angesprochen, nämlich wie zu verfahren ist, wenn geschütztes Leerzeichen oder Festabstände nicht zur Verfügung stehen. Denn wer „z. B.“ in Nur-Text-Mails, Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken mit Leerzeichen schreibt, wie DIN 5008 dies für Geschäftsbriefe fordert, muss in Kauf nehmen, dass die Abkürzung auf anderen Displays möglicherweise durch einen Zeilenumbruch auseinandergerissen wird.

Beim bis-Strich und dem Streckenstrich dagegen hat sich die Dudenredaktion erfreulicherweise entschlossen, das zweifelhafte Leerzeichen aus DIN 5008 gar nicht mehr zu erwähnen, und schreibt:
„Bei Streckenangaben wird der Gedankenstrich als Streckenstrich gesetzt. Strich und Ortsbezeichnung werden dabei traditionell ohne Zwischenraum miteinander verbunden, d. h. kompress gesetzt. […] Als Zeichen für ‚gegen‘ und ‚bis‘ findet der Gedankenstrich Verwendung. Für ‚gegen‘ (z. B. in Sportberichten) wird er mit Zwischenraum gesetzt. Für ‚bis‘ wird er ohne Zwischenraum (kompress) gesetzt.“

Hier nun werden Striche als „Gedankenstriche“ bezeichnet, die gar keine sind, weil man offensichtlich die korrekte typografische Bezeichnung „Halbgeviertstrich“ vermeiden will. Stattdessen wird auf die Erläuterung zum Gedankenstrich verwiesen, wo zu lesen ist, dass dieser „länger als der Bindestrich und in der Regel kürzer als das Minuszeichen“ ist. Wenn aber die inhaltlichen Bezeichnungen „Gedankenstrich“ und „Bindestrich“ typografisch verwendet werden, führt das Bestreben nach Allgemeinverständlichkeit zu neuer Verwirrung: Wie soll man den Gedankenstrich, der doch „mit vorausgehendem und folgendem Wortabstand“ steht, kompress setzen? Und warum meidet die Dudenredaktion die Bezeichnung „Halbgeviertstrich“ derart, wo sie doch an anderer Stelle den Festabstand mehr schlecht als recht zu erläutern versucht und bei den Regeln zum Bindestrich sogar die typografische Bezeichnung „Divis“ anführt? Zudem vergisst sie zu erwähnen, dass der Streckenstrich nicht nur geografisch verwendet wird wie in „Köln–München“, sondern auch Relationen wie „das Freihandelsabkommen EU–USA“ oder „den Streit Links–Rechts“ zum Ausdruck bringen kann.

Wörterverzeichnis und Dudenempfehlungen

An dieser Stelle nur einige Fragen, die sich mir bei der Arbeit mit dem neuen Duden gestellt haben:

  • Gibt es das Wort „angsteinflößend“ nicht? Duden empfiehlt zwar die Schreibweisen „angsterregend“, „Furcht einflößend“ und „furchterregend“ (auch wenn mir der tiefere Sinn hinter dieser Reihe verborgen geblieben ist), aber ein Stichwort „Angst einflößend/angsteinflößend“ ist nicht zu finden.
  • Wird man hin- und wieder zurückgerissen, wenn man hin- und hergerissen ist? Nach der Dudenerklärung zu „hin und her laufen/hin- und herlaufen“ schon, denn demnach müsste man bei ständigem Richtungswechsel den Ergänzungsstrich weglassen und getrennt schreiben.
  • Heißt es „gescant“ oder „gescannt“? Bei den Verben „downloaden“, „faken“, „liken“ und „recyceln/recyclen“ ist erfreulicherweise ein Partizip Perfekt verzeichnet („downgeloadet“, „gefakt“, gelikt“, „recycelt/recyclet“), aber bei „scannen“ nicht. Nach dem Stammprinzip ist „gescannt“ richtig, aber wegen des Wortes „Scan“ wäre es sinnvoll, diese Form auch anzuführen.
  • Warum gibt es bei einem so häufigen Wort wie „staubsaugen, Staub saugen“ keine Dudenempfehlung, die „all denen eine richtige und einheitliche Rechtschreibung ermöglichen soll, die dies wünschen und keine eigenen Entscheidungen bei der Variantenauswahl treffen möchten“ (S. 14)?
  • Ist die schöne Redensart „ehe man sich’s versieht“ mit Apostroph falsch? Im Duden steht sie nur ohne Apostroph, aber vielleicht hat die Dudenredaktion hier ja ihren eigenen Hinweis übergeneralisiert, dass „bei Verbindungen der Kurzform des Pronomens ‚es‘ mit dem vorangehenden Wort“ üblicherweise kein Apostroph gesetzt wird (D 14,4). „Sich’s“ ist nämlich keine Kurzform von „sich es“, sondern aus dem alten Genitiv „ehe man sich des versieht“ entstanden.

Auf Kriegsfuß mit dem amtlichen Regelwerk?

Laut Duden kann ein Kuchenstück nur „übrig bleiben“, während einem in übertragener Bedeutung manchmal nichts anderes „übrig bleibt/übrigbleibt“, als auch noch das letzte Stück zu essen. Warum aber ein „übrig gebliebener“ Kuchen auch ein „übriggebliebener“ sein kann, bleibt das Geheimnis der Dudenredaktion, denn hier gilt nicht § 34 des amtlichen Regelwerks (Zusammenschreibung des Partizips von trennbaren Verben), sondern § 36 (Zusammensetzung mit adjektivisch gebrauchtem zweiten Bestandteil), und darin ist keine Begründung für die Zusammenschreibung zu finden.

Die mögliche Zusammenschreibung von „übrigbleiben“ in übertragener Bedeutung wiederum begründet die Dudenredaktion mit Dudenregel D 55, die sich auf § 34(4)E7 bezieht. Dumm nur, dass diese Ergänzung im amtlichen Regelwerk nur für Verbindungen aus zwei Verben wie „sitzen bleiben/sitzenbleiben“ oder „liegen bleiben/liegenbleiben“ gilt und auf „übrig bleiben/übrigbleiben“ gar nicht anwendbar ist. Vielmehr gilt in diesem Fall nach § 34(2.2) bei „neuer idiomatisierter Gesamtbedeutung“ grundsätzlich Zusammenschreibung; die von Duden empfohlene Getrenntschreibung bei übertragener Bedeutung ist nur dann möglich, wenn sich „keine klare Entscheidung darüber treffen [lässt], ob eine idiomatisierte Gesamtbedeutung vorliegt“. Dies ist durchaus der Fall, wenn einem nichts anderes übrig bleibt/übrigbleibt, als der Dudenredaktion zu vertrauen – daher sind die verzeichneten Varianten mit Zusammen- oder Getrenntschreibung in diesem Fall zwar korrekt, aber mit falscher Begründung.

In der „Vollständigen Grammatik und Rechtschreiblehre“ von Heuer heißt es treffend: „Die Regeln für Verbindungen aus Adjektiv und Verb sind in den letzten Jahren wiederholt revidiert, damit leider aber nicht einfacher handhabbar geworden“ (Heuer/Flückiger/Gallmann: Richtiges Deutsch, Zürich 2017, S. 336). Aber dass selbst der Duden Schwierigkeiten in der Handhabung des amtlichen Regelwerks hat, verwundert doch ein wenig – eine Reminiszenz an vergangene Zeiten, als er noch selbst das Deutungsmonopol innehatte?

Fazit

Die Frage, ob der Duden empfehlenswert ist, stellt sich nicht; die Frage, ob sich eine Neuanschaffung lohnt, schon eher. Im Gegensatz zu früheren Auflagen steht man zusätzlich vor der Entscheidung, ob man sich wirklich die Print- und die elektronische Ausgabe zulegen will, weil die beiden nicht mehr im Bundle angeboten werden. Und: Nichts ist so gut, dass es sich nicht noch verbessern ließe – auch der Duden nicht.

Jürgen Hahnemann

27. Auflage (2017) als Buch und E-Book erhältlich, online zum Beispiel im Autorenwelt-Shop oder bei buch7.de.

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